Menschen bei uns
»Wer bin ich denn eigentlich?«
, von Martina Kalweit
Reinbek – Sebastian Stemmler weiß, worauf er sich einlässt. Seit 2003 gehört er zum Kollegium des Gymnasiums Sachsenwald. Acht Jahre war er als Stellvertreter seiner Vorgängerin Helga Scheller-Schiewek im Amt. Seit Sommer 2022 leitet er die Schule kommissarisch. Lehrermangel, Digitalisierungsdruck, Stillstand durch Verwaltungsschleifen und ständige Raumnot – mit all diesen Herausforderungen, die die Leitung einer der größten Schulen Schleswig-Holsteins mit sich bringt, ist er vertraut. Aber auch mit Reinbek, mit einem bunten Kollegium und einer vierstelligen Schülerschaft, die hinter ihm steht. Bei der offiziellen Amtseinführung am 9. Oktober wurde das spürbar.
Zwischen Musik und Akrobatik auf der Aula-Bühne erinnerte Martin Baudach, Mitarbeiter im Referat Gymnasien des Bildungsministeriums in Kiel, an einen Disput, der dank Stemmlers überlegter und emphatischer Art im konstruktiven Miteinander mündete. Für die Lehrerschaft sprach Lateinkenner Benjamin Küster von der Freude über die musische Inspiration, die der neue Schulleiter ins Kollegium trägt. Die Vertreterinnen der Elternschaft überreichten den Dirigentenstab zum Amtsantritt und die Schülervertretung vertraut auf einen Direktor mit Vernunft, Verstand und Visionen. Wie viel Humor da obenauf kommt zeigte sich in Stemmlers Dankesrede. »Wen sich die Sachsenwaldschule da eingehandelt hat« machte Sebastian Stemmler in seiner Selbstbeschreibung klar.
»Ein sehr musikalisches und verträumtes Kind« sei er gewesen, viele Fragen habe er sich bis heute bewahrt. So verließ der junge Sebastian die Schule in Kassel – und wusste nicht so recht, wohin. Kapitän, Goldschmied, Architekt, Rechtsanwalt? Sebastian Stemmler wurde im ersten Beruf Tischler. Er bringt diese Erfahrung, über die zu sprechen ihn sichtlich berührte, mit in die Schule. Welchen Gewinn das »sich ausprobieren« in einer anderen Welt für seine Schüler und Schülerinnen mit sich bringt, weiß jeder aus eigenen Schultagen und spätestens seitdem »Herr Bachmann und seine Klasse« in den Kinos lief. Durch ein Handwerk Wirksamkeit erleben, durch eine Lehre sich festigen, im Studium immer in die Breite gehen, so beschreibt Sebastian Stemmler seinen Weg. Nach dem Studium und einem Job bei der Diakonie am Hamburger Hauptbahnhof, bei dem statt einem guten Abitur der Kampf anderer um einen Hauptschulabschluss trotz Sucht oder psychischen Problemen im Zentrum stand, kam er 2003 an der Sachsenwaldschule Reinbek an.
»Probier’s mal mit ‘nem Bass« riet ihm damals seine Kollegin Barbara Marcks. Bis heute ist Sebastian Stemmler ihr für diesen Rat dankbar. Nicht mehr allein am Klavier und in der ersten Reihe hat der Liebhaber klassischer Musik sein Lampenfieber überwunden und schwingt am Bass im Schulorchester mit. Die offizielle Amtseinführung am 9. Oktober bot allen Gästen eine Kostprobe des harmonischen Zusammenspiels. Und von Lampenfieber keine Spur.
Für Sebastian Stemmler ist die Feier zum Amtsantritt dreierlei. Ein wertvolles Ritual, eine Zeit, um innezuhalten und eine Gelegenheit, die Sachsenwaldschule als Teil und Mittelpunkt eines Netzwerks zu feiern. »Eltern vertrauen uns ihre größten Schätze an«, sagt Stemmler. Um alle Möglichkeiten für deren Entwicklung auszuschöpfen, sieht er die Schule als Teil eines großen gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die Zusammenarbeit mit anderen Schulen, mit den Vereinen und Kirchengemeinden Reinbeks bauen das Haus, in dem er mit seinen Kolleginnen und Kollegen arbeiten will. Immer wertschätzend, immer der Identitätsbildung junger Menschen verpflichtet, immer bereit, auch andere Wege zu gehen. Im Umgang mit pädagogischen Worthülsen und allzu großen Visionen ist er eher vorsichtig. Aus diesem Grund ergänzte er sein »Selbstporträt« auch mit konkreten Wünschen.
Die Sachsenwaldschule verfügt über keine Begegnungsstätte abseits des Pausenhofs, einzelner Klassenzimmer und der Aula. Es fehlt der barrierefreie Zugang. Neu- und Anbauten der ständig aus allen Nähten platzenden Schule müssen zu einer Raumverteilung führen, die den Wanderbewegungen der letzten Jahre ein Ende setzen. Nach vielen willkommenen Neuerungen in der digitalen Ausstattung steht für Stemmler neben allem Jubel auch der Wunsch einer entwicklungspsychologisch verantwortbaren Digitalisierung. »Die ethische Entwicklung muss unbedingt mit der technischen Schritt halten«, sagt er. Wer Nachrichten und Chats in den sozialen Medien verfolgt, kann ihm nur zustimmen. Sebastian Stemmler will in den nächsten Jahren mithelfen, das Schiff auf Kurs zu halten. Als Kapitän eines sturmerprobten Teams, als Goldschmied der ihm anvertrauten Schätze, als Architekt mit aufmerksamem Blick auf die Ausbaupläne und als Anwalt zwischen allen Streithähnen und -hennen vermittelnd. Wer sich erstmal gefunden hat, der kann eben auch mehr als einer sein.