Menschen bei uns
»Die Angst schwingt immer mit.«
, von *Die Fragen stellten Imke Kuhlmann und Hartmuth Sandtner*
Stormarn – Dreizehn Frauen und vierzehn Männer, alle Mitglieder der »Letzten Generation«, sitzen in München während der Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Präventivgewahrsam, schreibt das Hamburger Abendblatt vom 7.9.23. Katja Schreiner ist auch Mitglied der »Letzten Generation« und macht daraus kein Geheimnis. Schließlich will sie mit ihren Aktionen Aufmerksamkeit erzielen. Sie sorgt sich um die Zukunft der nächsten Generationen und geht nun mit der »Letzten Generation« auf die Straße. Das Bündnis von Klimaaktivisten verfolgt das Ziel, durch Mittel des sogenannten zivilen Ungehorsams, Regierungs-Maßnahmen für konsequenten Klimaschutz zu erzwingen, beispielsweise ein Tempolimit. Hungerstreik, Blockaden durch Festkleben auf der Fahrbahn, Kunst-Vandalismus – Themen, die die meisten Menschen mit den »Klimaklebern« verbinden. Viele seien über 50 Jahre alt, heißt es. Eine von ihnen ist Katja Schreiner. Die Mutter eines 17 Jahre alten Sohnes ist 56 Jahre alt. Sie ist Psychologin und arbeitet in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen.
Der Reinbeker: Wie ist Ihr Blick auf die Welt?
Katja Schreiner: Die Welt ist in einer großen Krise, der Klimakrise und des rasanten Artensterbens. Für mich geht es für unsere Zukunft in Richtung Abgrund.
DR: Woher kommt dieser Blick?
KS: Ich bin vom Elternhaus so geprägt. Meine Mutter war an vielen Themen interessiert und hat sich zudem politisch eingebracht. Sie hatte sich bereits bei der Anti-Atomkraft-Bewegung engagiert. Das hat mich hinsichtlich der Verletzlichkeit der Natur früh geprägt.
DR: Und das Engagement in Richtung Klimaschutz kam wodurch?
KS: Letztendlich durch die Fridays for Future-Bewegung von Greta Thunberg. Allein in Deutschland waren 1,4 Millionen Menschen auf der Straße, um für die Einhaltung des Pariser Abkommens, des 1,5-Grad-Ziels zu demonstrieren. Das Pariser Klimaabkommen ist die erste weltweite Vereinbarung zum Klimaschutz von 195 Vertragsparteien, zu denen auch Deutschland zählt. Nun sieht es so aus das wir die 1,5 Grad noch in diesem Jahrzehnt reißen werden. Ich habe zudem einige Vorträge der Umweltschutzbewegung »Extinction Rebellion« in Bergedorf gehört. Der Bergedorfer Gruppe habe ich mich dann später auch angeschlossen. Hier fühlte ich mich gut aufgehoben. Mit meinem Engagement möchte ich den nächsten Generationen Chancen auf ein Leben ohne Klimakatastrophe ermöglichen.
DR: Was sagen Ihre Eltern, wenn Sie sich jetzt für das Klima auf die Straße setzen?
KS: Mein Vater lebt schon länger nicht mehr. Er hätte wahrscheinlich Angst um mich. Meine Mutter sieht die Aktionen der Letzten Generation kritisch, so wie ich teilweise die Politik der Grünen kritisch sehe. Sie ist bei den Grünen und hat die Partei auch mitbegründet. Wir haben dazu viele vor allem politische Diskussionen. Meine Mutter denkt, dass diese Art von Protesten der Sache schadet. Ihre Sorge ist, dass die Aktionen das Ziel des Klimaschutzes nicht nach vorne bringen, sondern eher davon ablenken.
DR: Und wie beurteilen Ihre Freunde diese Aktionen und Ihr Engagement dabei?
KS: Einige sagen, Sie selbst hätten Angst, sich in der Form zu einzubringen. Andere sehen die Problematik unserer Klimaentwicklung gar nicht. Viele wissen nicht, wie dringend es ist, die Klimakrise abzuwenden und wie schlimm es bereits um das Klima steht. Ich empfinde viel Verdrängung und Abwehr, als ob so mancher sich scheut, mit dem Thema konfrontiert zu werden. Daher kommt es sicher auch, dass wir bei den Aktionen von einigen Ablehnung und Feindseligkeit erfahren. Das so heftig reagiert wird hat aus meiner Sicht den Grund, dass die Menschen mit dem Thema überfordert sind. Aber es hilft ja nichts, die Erde brennt und wir müssen etwas tun. Es gibt tatsächlich Freunde, die sich von mir abwenden. Wir handeln nicht unüberlegt. Für die Polizei sind wir immer relativ transparent und einige von uns kleben sich beispielsweise nicht fest, um Rettungsdienste nicht zu behindern.
DR: Wie fühlt sich das an, auf der Straße zu sitzen und wie, wenn Polizisten einen von der Straße ziehen?
KS: Wir finden das alle schrecklich und es kostet immer Überwindung. Viele Aktivisten wurden bereits mit Geldstrafen geahndet, es gibt öfter Strafanzeigen wegen Nötigung und einige wurden bekannterweise auch in Gewahrsam genommen.
Es ist eine Gefahrensituation, der wir uns aussetzen und es ist bedrohlich, als kleiner Mensch vor einem Auto, vielleicht einem LKW zu sitzen. Ich bin häufig in der Rolle der Betreuerin für die, die auf der Straße sitzen oder sogar für einige Tage inhaftiert werden. Ich kümmere mich dann um sie.
DR: Welche Gefühl dominiert in der Situation?
KS: Ich habe Angst, aber es ist auch ein Gefühl der Selbstermächtigung aus der Ohnmacht herauszutreten und etwas zu tun, ins Handeln zu kommen.
DR: Auf was hoffen Sie, in der Situation?
KS: Ich hoffe auf einen Bewusstseinswandel der Menschen. Ich möchte, dass wir politischen Druck aufbauen. Der Protest richtet sich letztendlich gegen die Regierung nicht gegen die Menschen.
DR: Wenn Sie auf der Straße sitzen, gibt es auch positive Begegnungen mit den Menschen?
KS: Wir machen sehr unterschiedliche Erfahrungen. In Hamburg haben wir sehr heftige und aggressive Reaktionen erfahren. Aber es gibt Personen, die sehr offen sind, uns loben, uns Essen geben oder sogar Geld für die Aktion. Wir versuchen alle, die sich sehr über uns ärgern anzusprechen. Wir wollen ihnen erklären, dass wir sie nicht ärgern möchten, sondern wir die Politik aufrütteln wollen. Und wir erklären ihnen, wie kritisch es um das Klima steht. Wir hoffen, dass sie verstehen, wie ernst es uns ist. Eine Demonstration allein reicht nicht, damit werden wir nicht genug wahrgenommenUnsere Protestform soll die Größe des Problems darstellen. Und weil es alle angeht, gehen wir in die Mitte der Gesellschaft. Ich kann die Kritik verstehen und ich habe mich daher lange mit den Aktionen schwergetan.
DR: Was genau wollen Sie erreichen?
KS: Wir wollen, dass Strukturen in der Politik mit Blick auf das Klima verändert werden. Wir wollen nichts kaputt machen, wir möchten eine Debatte anstoßen.
DR: Ist es denn verhältnismäßig eine Hotelbar zu zerstören?
KS: Die Hotelbar auf Sylt wurde nicht zerstört. Wir verwenden nur abwaschbare Farbe. Im Nachhinein hat das Hotel die Aktion sogar geschickt verwertet und Flaschen, die mit Farbe beschmiert waren, versteigert. Das Geld ging an einen Kinderkrebsfond. Mit dem Protest an diesem Ort wollten wir darauf aufmerksam machen, dass viele reiche Menschen leider deutlich mehr CO ausstoßen. Wir können der breiten Masse nicht sagen, ihr müsst beim Duschen sparen und auf der anderen Seite gibt es private beheizte Pools. Wir wollen nichts sabotieren, wir bleiben immer friedlich. Auf keinen Fall wollen wir Menschen verletzen.
DR: Bundeskanzler Scholz sagt, ihre Aktionen sind bekloppt. Wie stehen Sie dazu?
KS: Scholz ist als Klimakanzler angetreten und jetzt hält Deutschland nicht einmal die Ziele des Pariser Klimaabkommens ein. Zudem brechen wir auch noch eigene Klimaschutzgesetze zum Thema CO-Ausstoss. Mit dieser Aussage von Scholz kommen wir nicht weiter.
DR: Haben Sie selbst eine Vision?
KS: Ich gehe davon aus, dass jede Krise auch eine Chance bietet. Eine Klimakrise ist so global, dass ich hoffe, dass es die Menschen dazu bringt, künftig global zu handeln. Ich möchte, dass wir über die Ländergrenzen hinweg denken.
DR: Deutschland ist international nur ein kleines Licht bei den Klimathemen?
KS: Ja, aber Deutschland sollte als reiche Industrienation eine Vorbildfunktion einnehmen.
DR: Was macht das mit Ihnen, wenn Sie mit der RAF verglichen werden?
KS: Es ist nicht schön, ungerecht beschuldigt zu werden, aber ich kann das auf der anderen Seite auch nicht ernst nehmen, weil es einfach nicht stimmt. Unser Wertekonsens ist ganz anders. Uns ist wichtig friedlich und gewaltfrei zu sein, humanistische Grundwerte einzuhalten und Menschen Lernfähigkeit zuzusprechen. Unser Ziel ist es, die Gesellschaft mitzunehmen.
DR: Was sind Ihre konkreten Forderungen?
KS: Unsere zentrale Forderung ist die für einen Gesellschaftsrat Klima. Ein Rat von ausgelosten Bürger:innen, mit der Zielvorgabe einen Plan auszuarbeiten wie wir bis 2030 den Gebrauch fossiler Energien beenden. Also so schnell wie möglich, weil es eigentlich schon längst hätte passieren müssen. Aber wir wollen auch, dass alternative Energieformen eingesetzt werden und das Tempolimit sofort einführen.
DR: Verändert sich ihr Verhalten, wenn sie auf Offenheit stoßen?
KS: In einigen Städten haben wir Gespräche mit den Bürgermeistern geführt und danach unsere Proteste eingestellt, wie beispielsweise in Hannover und Lüneburg.
DR: Wie geht es jetzt weiter?
KS: Ab Mitte September geht es zu Protesten nach Berlin.
Vielen Dank Katja S., dass Sie mit uns gesprochen haben.