Menschen bei uns
»Wir müssen zulassen, dass Jugendliche heute anders sind.«
, von Imke Kuhlmann
Wentorf – Für viele Jugendliche, die ins emotionale oder soziale Abseits geraten sind, sind Streetworker der seidene Faden als Chance, wieder im Leben Fuß zu fassen. Es kann ein Schicksalsschlag sein, der nicht verkraftet wurde, eine falsche Entscheidung mit weitreichenden Folgen oder vielleicht war einfach niemand in dem Moment da, in dem ein verständnisvolles Gespräch so wichtig gewesen wäre. Der Weg in Drogenabhängigkeit, Kriminalität, Obdachlosigkeit, Armut oder Prostitution ist dann so manches Mal kurz. Streetworker sind da, wo sich die jungen Menschen treffen.
Sandra Zahn ist seit über fünf Jahren Streetworkerin in Wentorf. Sie hat einen Bachelor-Abschluss für soziale Arbeit und arbeitete als Erzieherin in Berlin-Marzahn. Sie kennt die Thematik sozialer Brennpunkte. Die 35-jährige ist Mutter zweier Jungen im Alter von drei und fünf Jahren. »Ich kann mir keinen anderen Beruf vorstellen«, sagt sie. Täglich ist sie in der Gemeinde manchmal bis spät in die Nacht unterwegs und trifft die jungen Leute. Eine der größten Herausforderungen ihrer Arbeit sei, das Vertrauen der Jugendlichen zu gewinnen. Es ist für sie eine Art Ehrenkodex, dies nie zu brechen. »Wir reichen ihnen die Hand, doch kommen müssen sie von allein«, so Zahn. Inzwischen hat sie sich einen Namen unter den jungen Leuten gemacht. Sie vertrauen ihr. »Ich darf in ihre Lebenswelt eintauchen, das weiß ich zu schätzen«, sagt sie. Und das wissen auch die Jugendlichen zu schätzen. Immer wieder kommen neue Personen hinzu. »Ich gehe auf sie zu, stelle mich vor und erzähle, was ich tue und dass ich für sie da sein kann,« berichtet sie. »In der Straßensozialarbeit brauchen wir unglaublich viel Geduld«, so Zahn.
Sie habe einen anderen Blick auf die jungen Menschen, unvoreingenommen gehe sie auf die Jugendlichen zu, sagt sie. Angst kenne sie nicht, auch nicht, wenn sie spät abends zu ihren Treffpunkten geht, die sie geheim hält. Gerade hat sie aus Anlass eines 18. Geburtstages einer jungen Frau noch einen Kartoffelsalat zubereitet und bringt diesen zum abendlichen Treffen mit. Die Jugendlichen lassen sie in ihre Welt. »Ich bin nicht autoritär, ich bewerte nicht und ich erwarte nichts«, sagt sie. Das sei eine gute Vorausset-zung. Nur Ungerechtigkeit könne sie nicht aushalten. Wichtig sei ihr, dass die jungen Leute offen in der Gesellschaft ankommen können. »Wir müssen zulassen, dass Jugendliche heute anders sind«, so Zahn. Sie werden in einer digitalen Welt groß. Großeltern, die Werte vermitteln, gäbe es oft nicht mehr. Manchmal provozieren sie, aber nur, um gesehen zu werden. Randständige Menschen würden oft nicht gesehen, darunter litten sie.
Kontakt, wenn auch teilweise unregelmäßig, habe sie bestimmt zu 100 jungen Menschen in der Gemeinde. Das sei in der Corona-Pandemie nicht abgerissen, in der sie sich meist über Telefon oder soziale Medien ausgetauscht haben. Meistens kommen die jungen Leute mit Drogenproblemen, Schwierigkeiten im Elternhaus, Schulden oder Obdachlosigkeit. Sie vermittelt auch an Stellen, die ihnen bei besonderen Themen weiterhelfen können.
Im Frühjahr und Sommer finden die Treffen meist draußen unter freiem Himmel statt. Im Herbst oder Winter schlage sie vor, gemeinsam zu kochen oder Spieleabende zu organisieren. In der Gemeindewohnung, in der sie erreichbar ist, gibt es die Möglichkeit dazu. Auch ins Kino seien sie schon gemeinsam gefahren. Allein das ist für die Jugendlichen schon etwas Besonderes. Sie kennen es nicht, dass ihnen jemand ein Angebot macht, denn meistens werden sie abgelehnt, da sie auffällig sind. Sandra Zahn gibt ihnen das Gefühl, angenommen zu sein.
Wichtig sei es zuzuhören. Zu erfahren, was die Jugendlichen beschäftigt und zu akzeptieren, dass sie vielleicht anders sind. Ihr falle auf, dass für Mädchen vor allem die sozialen Medien ein Problem sind. Sei es das unüberlegte Versenden von Fotos, aber auch der Erfolgsdruck, eine möglichst hohe Zahl von Likes zu erreichen. »Ich gehe mit einem großen Vertrauensvorschuss auf die Menschen zu. Das bedeutet nicht, dass ich es immer gut finde, was sie tun«, sagt sie. Das sage sie dann auch.
Ihr Beruf sei genau das, was sie tun möchte. Es tue gut zu sehen, wenn jemand seinen Weg finde, beispielsweise in den Job kommt oder in den Entzug geht.
Privat ist ihre eigene Familie der Ausgleich für die Arbeit. Die Kinder gäben ihr die Kraft für den Alltag »Wir reisen sehr gern«, verrät sie. Und auch zuhause lautet ihre Devise: »Nehmt Euch alle nicht selbst so ernst«.