Menschen bei uns
»Es ist bereichernd, dass man zusammen mit anderen etwas bewegen kann«.
, von Christa Möller
Wentorf – Wenn Reiner Freund (65) aufs Fahrrad steigt, wird es manchmal laut, denn wenn er gemeinsam mit vielen weiteren Teilnehmern der Critical Mass durch Wentorf und Börnsen fährt, ist Musik vom Band dabei. Mitglieder der Ortsgruppe Wentorf-Börnsen des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club e. V. (ADFC) sowie viele weitere engagierte Bürger wollen auf diesem Weg einmal im Monat dafür werben, den Fokus verstärkt auf das Fahrrad zu setzen und die Aufenthaltsqualität im Zentrum zu steigern mit dem Slogan »Mehr Platz fürs Rad«. Freund ist Vorsitzender der Ortsgruppe, die er vor einem Jahr mitgegründet hat. Warum er sich dort engagiert? Das ist eine längere Geschichte…
Der gebürtige Schwabe, der seit 20 Jahren in Wentorf lebt, kann auf ein »munteres, buntes Ausbildungs- beziehungsweise Arbeitsleben« zurückblicken. Nach der Mittleren Reife hat er auf Initiative seiner Eltern eine Banklehre gemacht. Anschließend ist er für ein Jahr nach England gegangen, um seine Sprachkenntnisse zu verbessern und in einem ganz anderen Bereich Erfahrungen zu sammeln. »Über den Sozialen Freiwilligendienst habe ich in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft auffällig gewordene Kids betreut. Das war eine sehr spannende Zeit.« Dass er danach studieren würde, war ihm schon damals klar. Nach bestandener Aufnahmeprüfung an einer wissenschaftlichen Hochschule in Hamburg konnte er auf dem 2. Bildungsweg sein Studium (Soziologie, Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre) zum Sozialökonom absolvieren. Danach machte er eine Weiterbildung zum Sozial- und Suchtberater und war unter anderem in der Drogenberatung tätig. »Danach habe ich Psychologie studiert und ein Jahr lang als Psychologe in einer Sprachheil-Kita in Buchholz gearbeitet.« Finanzieren konnte er seine umfangreiche Ausbildung teilweise über BAföG, aber auch durch verschiedene Jobs. Seinen beruflichen Wirkungskreis fand Reiner Freund anschließend als Quereinsteiger an der Staatlichen Schule für Sozialpädagogik in Harburg, wo er knapp 25 Jahre bis zum Ruhestand 2020 tätig war.
»Es gab die Corona-Pandemie und ich war neu in der Zeit-Souveränität. Die Gesellschaft hat sehr viel in mich investiert«, erläutert der 65-Jährige mit Blick auf Ausbildung und Studium. »Ich habe das Bedürfnis, ein bisschen was zurückzugeben.« Das gelang ihm, indem er etwas, das ihm Spaß macht wie das Fahrradfahren mit politischem Engagement verknüpfte. »Ich bin seit 2019 Mitglied der Grünen und habe im März 2021 gemeinsam mit anderen die ADFC-Ortsgruppe Wentorf-Börnsen gegründet.« Die Mehrzahl der rund 50 Mitglieder kommt aus Wentorf, aber auch Börnsener sind darunter. »Ich verstehe mich nicht als Einzelkämpfer«, betont Reiner Freund, zählen doch 15 Aktive zur Ortsgruppe. Wir sind viele engagierte Menschen, die in der Gruppe verschiedene Aufgaben übernehmen und die Sache voranbringen. Es ist eine schöne Erfahrung, dass es in Wentorf einige Menschen gibt, die etwas verändern wollen und einen Teil ihrer Freizeit und ihrer Kraft dafür nutzen. Die meisten arbeiten ja noch. Es ist bereichernd, dass man zusammen mit anderen etwas bewegen kann.« Nähere Infos gibt es unter www.wentorf.adfc.de
Seine Frau und er teilen sich ein Auto, einen Kleinwagen, den sie selten nutzen. Gerade überlegen sie, wie sie das Fahrzeug im Rahmen von Car Sharing auch anderen zur Verfügung stellen können. Wenn das Ehepaar nicht mit dem Fahrrad reist, nutzt es für Urlaubsfahrten gern die Bahn, »eine Einschränkung an Bequemlichkeit und Gepäck. Es dauert länger, aber hinterher hat man auch ordentlich was erlebt und etwas zu erzählen – vom Zugausfall bis zu Gesprächen mit den Mitreisenden. Wenn man die Reise als Teil des Urlaubs erlebt, hat das eine ganz andere Qualität. Im Auto erlebt man Staus und keine interessanten Unterhaltungen.« Hundertprozentige Umweltengel seien sie nicht, sagt Freund. So kann ihr Reihenhaus aus bautechnischen Gründen nicht solar beheizt werden. Beide leben vegetarisch und nutzen Ökostrom. »Aber nur der Griff ins richtige Regal reicht nicht.« Politischer Einsatz sei wichtig, um etwas zu erreichen.
Wenn er sich nicht politisch betätigt, ist Reiner Freund gern sportlich unterwegs: Beim Laufen durchs Bergedorfer Gehölz oder im Sommerhalbjahr beim Schwimmen im Wohltorfer Tonteich. Und er fährt viel Fahrrad, ein Hobby, das er mit seiner Frau teilt. Außerdem liest er Sachbücher, aber auch Romane, beispielsweise von seiner Lieblingsautorin Juli Zeh.
Die vielfältigen Aufgaben lassen für ihn allerdings keine Langeweile aufkommen. »Das wird meine Lebenszeit übersteigen«, sagt Reiner Freund mit einem Augenzwinkern. Es habe lange gedauert, die Städte autofreundlich umzugestalten. »Es wird auch lange dauern, das zurückzubauen.«
Am 2. März, 19 Uhr, soll der 2. Runde Tisch Radverkehr stattfinden, vermutlich in digitaler Form – und fraktionsübergreifend. »Das ist eine Chance, an einem Strang zu ziehen«, plädiert Reiner Freund für Beteiligung.
Was ihn antreibt? »Die Sorge, dass die Menschen die Welt kaputtmachen«, sagt er und nennt dazu die Stichpunkte Energie, Klima und Biodiversität. Der Bericht des Club of Rome, Grenzen des Wachstums, schärfte übrigens bereits 1972 sein Umweltbewusstsein. »Das war der erste kräftige Warnschuss, dass Wirtschaften auf dem Niveau nicht lange gut gehen kann. Das hat mich das ganze Leben begleitet – mal mehr, mal weniger.«