Menschen bei uns
Mit der Kraft aus den eigenen Gedanken der Menschen
, von Imke Kuhlmann
Wohltorf – Sie können nicht wegwerfen, sammeln Dinge meist solange, bis die Wohnung oder zumindest ein Zimmer kaum noch zu betreten ist. Dann wächst ihnen das Chaos über den Kopf. Messies werden diese Menschen genannt, abgeleitet vom englischen Wort »mess«, das Durcheinander oder Chaos bedeutet.
»Etwa jeder zehnte meiner Patienten leidet unter dem Messie-Syndrom«, sagt Sabina Hirtz. Sie ist Psychotherapeutin, Heilpraktikerin, klinische Hypnosetherapeutin, Klienten zentrierte tiefenpsychologische Körpertherapeutin und Raido-Healing-Horses-Therapeutin. Letzteres ist die Arbeit mit Pferden, die auch in der Therapie mit Messies besonders erfolgversprechend sei. »Pferde sind der Spiegel der Seele«, so die Messieberaterin. Die Reaktionen der Tiere in bestimmten Situationen gäbe den Menschen Kraft auf dem Weg in die Ordnung. In der Beratung von Menschen mit dem Messi-Syndrom geht es Sabina Hirtz nicht primär darum, die Wohnung aufzuräumen, sondern die Menschen zurück in ein gesellschaftliches Leben zu bringen. Die Krankheit sei sehr schambelastet, was zudem zum Rückzug aus dem Miteinander führe. Vereinsamung ist oft die Folge.
Bereits mit 14 Jahren beschritt Sabina Hirtz den Weg in die Psychotherapie. Sie unterstützte in jungen Jahren ihren Vater, der Jugendfußballtrainer war, als Mentaltrainerin der Mannschaft. Schon damals faszinierte sie der Erfolg, der sich sofort einstellte. Die Anzahl der Torschüsse erhöhte sich deutlich. »Die jungen Fußballer waren viel fokussierter und nicht so aufgeregt«, erinnert sie. Sie selbst hatte als Jugendliche bereits Erfahrungen beim autogenen Training gesammelt. Erfahrungen, die sie bis heute geprägt hätten. »Ich fürchtete mich als Kind vor der Dunkelheit«, erinnert Sabina Hirtz. Ihre Eltern ermöglichten ihr das Kennenlernen dieser Entspannungsmethode. »Es ist faszinierend, dass wir Menschen mit eigenen Gedanken unser Bewusstsein steuern können«, sagt die Expertin. Sie habe ihre Ängste überwunden, auch weil sie gesehen habe, wie es bei anderen funktioniere. »Ich fühlte mich dabei so frei«, erinnert sie. Das möchte Sabina Hirtz ebenso anderen Menschen ermöglichen.
Zur selben Zeit, als sie diese Erfahrungen machte, begann sie als Sängerin in der Thrash-Metal-Band (extreme und schnelle Spielart der Metal-Music) Holy Moses, ihr Künstlername: Sabina Classen. Die vier Bandmitglieder spielen über Jahre Konzerte weltweit. Sie sagt, die Musik helfe ihr persönlich und für den Beruf als Therapeutin. »Das Schreien und das Wild-Sein beflügelt mich, es ist auch eine Form von Therapie.« Der Weg in die Messie-Beratung hat in der Band seinen Ursprung. Der damalige Manager litt darunter. »Mir war die Unordnung in seiner Wohnung aufgefallen. Erst später wurde mir bewusst, dass sich hinter dem räumlichen Chaos ein psychisches verbarg«, so Hirtz. In den letzten 15 Jahren hat sie sich als Messie-Beraterin einen Namen gemacht. Das Wichtigste in ihrer Arbeit sei das Vertrauen, das entstehen müsse, um helfen zu können. »Erst dann öffnen sich die Menschen«, erklärt sie. Das Vertrauen, das sie den Menschen schenkt, bekommt sie meist zurück.
In einer Sendereihe von RTL II mit dem Titel »Das Messie-Team – Start in ein neues Leben« ist sie wiederholt bei ihrer Arbeit zu sehen. Vor laufender Kamera holt Sabina Hirtz Menschen aus dem Chaos. »Die TV-Sendung hilft dabei, das Thema öffentlich zu machen. Nach den Ausstrahlungen rufen mich viele Menschen an und sprechen offen über ihr Problem«, berichtet sie. Gerade wird wieder gedreht. »Betroffene haben uns angesprochen und wollen sich in der Öffentlichkeit helfen lassen«, berichtet die Expertin. Ein Vorführen der Personen sei es auf keinen Fall. »Zusammen mit der Produktionsfirma schauen wir genau hin, wer sich eignet, sein Problem vor Publikum anzugehen und wer nicht«. Die Drehs sind echt, die Personen auch. Daher dauere es länger, bis die Sendungen im Kasten sind. »Ich denke, dass wir spätestens im Jahr 2023 die neue Staffel ausstrahlen können«, so Sabina Hirtz, die wieder mit dem Entrümpler und Schädlingsbekämpfer Dennis Karl vor der Kamera steht. »Wir sind ein gutes Team und haben inzwischen unsere Fernseherfahrungen gesammelt«, sagt sie.
»Eine Wohnung zeigt nur äußerlich, was in der Seele entrümpelt werden muss«, so die 56-Jährige weiter. Messies gäbe es in allen sozialen Schichten und in verschiedenen Altersgruppen. Es ließe sich auch kein Schwerpunkt nach Geschlechtern feststellen. Rund zwei Millionen Menschen sind vom Messie-Syndrom betroffen, die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Die Corona-Pandemie habe voraussichtlich die Zahlen noch nach oben gebracht. »Jeder der über Messies die Nase rümpft, kann an dem Phänomen des Hortens von Toilettenpapier sehen, wie schnell eine Lebenssituation sich ändern kann und was in besonderen Situationen es mit uns Menschen macht. So wie es Einigen damit ging, empfinden es Messies immer«, erklärt sie. Wichtig ist ihr bei ihrer Arbeit, die Menschen so anzunehmen, wie sie sind. Ohne Vorurteile, so wie es auch die Pferde tun oder der Therapiehund, die sie in ihrer Arbeit unterstützen. Und wenn sie sieht, dass die Menschen einen Weg für sich finden, ist sie froh, sie dabei begleiten zu können.