Menschen bei uns
»Leben und leben lassen.«
, von Imke Kuhlmann
Reinbek - Im nächsten Jahr wird der Kleingärtnerverein Reinbek sein hundertjähriges Bestehen feiern. Nicole Radtke wird sich im Februar zum zweiten Mal als erste Vorsitzende zur Wahl stellen. In der Geschichte des Vereins ist sie die erste Frau, die dieses Amt inne hat. Zwischen 22 und 92 Jahren alt sind die Mitglieder.
Nicole Radtke ist eher zufällig dazu gekommen, dem Verein vorzusitzen. »Ich hatte damals erst am Wahltag erfahren, dass ich zur Wahl stehe und dann konnte ich nicht nein sagen«, berichtet sie. Dabei fiele ihr heute nicht jede Entscheidung leicht. »Im Amt muss ich mich durchsetzen, mein Herz sagt mir manches Mal etwas anderes«, so die 53-jährige. Doch in einer Gemeinschaft gelten Regeln und die müssen nun einmal eingehalten werden – für die Gemeinschaft. So ist es beispielsweise für jeden Kleingärtner verpflichtend ein Drittel des Gartens als Nutzgarten anzulegen. Auf dem Platz gibt es kein Abwasser und keinen Strom, Übernachtungen sind nur ausnahmsweise gestattet. Das Ehrenamt sei schon ab und an eine Herausforderung. Doch für Nicole Radtke ist der Kleingarten eine Herzensangelegenheit und so beißt sie sich durch, wenn es mal schwierig wird.
1975 unterschrieben ihre Eltern den Pachtvertrag genau in diesem Kleingartenverein. Neben dem jährlichen Mitgliedsbeitrag kommt in der Regel eine Ablöse für Pflanzen und eventuell die Laube hinzu. Beides sei bezahlbar. Doch Laube und Rasen gab es damals noch nicht auf ihrer Parzelle.
Als ihre Eltern Kleingärtner wurden war die gelernte Disponentin sieben Jahre alt. Seitdem kann sie sich das Gärtnern nicht mehr wegdenken. Kartoffeln, Radieschen, Bohnen, Erdbeeren aber auch Kürbis, Rosenkohl, Gurken oder Physalis wachsen in ihrem Garten. Nicole Radtke hat durch das Gärtnern einen anderen Blick auf die Ernährung bekommen. »Wir essen viel Gemüse und Obst – alles aus dem eigenen Garten«, sagt sie. Nur im Winter muss sie das ein oder andere einkaufen.
2010 hat sie die elterliche Parzelle übernommen. »Die Parzellen werden nicht vererbt, man muss sich darauf bewerben«. Zusammen mit ihrem Mann Stefan bewarb sich die Mutter von vier Kindern darauf und bekam sie. Ihre Kinder sind zum großen Teil in diesem Garten aufgewachsen. »Sie waren viel bei ihrer Großmutter«, sagt sie. Und so möchte ebenso der jüngste Sohn Michael irgendwann die Parzelle übernehmen. Doch er muss sich genauso regulär bewerben, wie jeder andere. Mitglied im Verein ist er schon – das jüngste.
Für Nicole Radtke ist der Garten ein Ausgleich zum Alltag. »Hier kann ich entspannen und abschalten«, sagt sie. Früher hatte sie ein Haus mit einem eigenen Garten. Das sei aber nicht das Gleiche. Im Kleingarten zu sein, sei immer ein Stück Urlaub, sagt sie. Als sie 2019 ihr Amt als Vorsitzende übernahm, hat sie ihre Dienste, – Radtke war damals Fahrgastbetreuerin bei der Bahn – in die Nacht geschoben, damit sie sich tagsüber der Familie und dem Verein widmen kann. Inzwischen macht sie eine berufliche Pause und kann sich mehr dem Ehrenamt widmen. So kümmert sie sich um Organisatorisches, Verwaltung, Pächterwechsel, Aufnahmegespräche oder auch die Organisation von Festen. Da kommen schon mal rund 15 Stunden Arbeit in der Woche zusammen. Jeden ersten Mittwoch im Monat ist Sprechstunde für Mitglieder und Interessierte. Für Letztere gibt es allerdings eine Warteliste, denn in Zeiten von Corona stehen Kleingärthoch im Kurs. Doch die Vereine wünschen sich dauerhafte Pächter, die sich nicht nur ein Grundstück als Zwischenstation wählen.
Nicole Radtkes große Stütze ist Heinz Goitowski (77). Der ehemalige Banker ist für die Finanzen des Vereins zuständig und immer ein Sparringspartner, wenn es um Entscheidungen geht. Dass sie manchmal ein Machtwort sprechen muss, entspricht nicht ganz ihrem Naturell. Das bestätigt ihr Sohn Michael: »Meine Mutter denkt immer zuerst an andere und dann an sich«, sagt er. Das zeigt sich auch in ihren neuen Plänen. Sie möchte eine Parzelle samt Laube an eine Wohngruppe von Menschen mit Beeinträchtigungen geben, die sich dort beschäftigen und aufhalten können. Wann das soweit ist, weiß sie noch nicht. Vorher wird erstmal das 100-jährige Bestehen gefeiert. Mit traditioneller Musik, Getränken, Schlemmereien und zum Abend eine Rockband.
Und in einem ist sich Nicole Radtke treu: »Ich lebe am liebsten nach der Devise: Leben und leben lassen«, sagt sie.