Menschen bei uns
»Ich wachse an meinen Herausforderungen.«
, von Imke Kuhlmann
Reinbek – 70.000 Menschen kamen im Jahr 2019 in die Vier- und Marschlande, um gemeinsam Erntedank zu feiern. Traditionell werden alle zwei Jahre die Erntemajestäten gewählt: Die Erntekönigin und ihre Prinzessinnen. 2019 war es Anna von Deyn, die den symbolischen Thron bestieg. Nicht einmal ihre Eltern wussten, dass sie sich beworben hatte und wurden bei der feierlichen Zeremonie überrascht. Die junge Frau hatte in der Zeitung gelesen, dass eine neue Erntekönigin und ihre Prinzessinnen gesucht würden. Sie war neugierig, ging zum Info-Abend und wurde ausgewählt.
Anna von Deyn ist 25 Jahre alt. Sonnabends steht sie in Reinbek auf dem Wochenmarkt am Täbyplatz und hilft dem Vater ihres Lebensfährten beim Blumenverkauf. »Es ist eine Art Familiendienst«, sagt sie. Anna liebt die Natur, Blumen, aber auch das Ländliche. »Ich bin in Kirchwerder aufgewachsen und habe nie woanders gelebt«, sagt sie. Mit mehreren Generationen wohnen sie zusammen auf einem Grundstück. Ihre Großmutter hat einen großen Blumen- und Nutzgarten. Dort hat sie die Liebe zu den Pflanzen entdeckt und dort tankt sie Energie, die sie bei all ihrem Engagement braucht.
Die amtierende Erntekönigin ist gelernte Speditionskauffrau, jobbt nebenbei als Servicekraft und hilft auf dem Wochenmarkt. Langeweile kommt bei ihr nicht auf. Wäre nicht Corona, so hätte sie noch einige Stunden, ja Tage mehr gebraucht, um als Erntekönigin auf vielen Veranstaltungen zu sein. Ihre Aufgabe ist es die Region, die Produkte und auch das Landgebiet zu repräsentieren. In der »Hauptsaison« sind es einige Wochenenden, an denen sie zusammen mit den beiden Ernteprinzessinnen Frederike Schlünzen (20) und Christina Koop (28) ihre Aufgaben wahrnimmt. Am 6. September reist sie zu Niedersachsens Ministerpräsidenten Stephan Weil, um dort weitere Königinnen zu treffen. Dafür nimmt sie sogar Urlaub. Solche Termine sind außerhalb der Pandemie keine Seltenheit. Besondere Erlebnisse, die Anna zu schätzen weiß. »Es sind viele spezielle Kontakte, die entstehen und Begegnungen, die ich sonst nie hätte«, sagt sie.
Erntekönigin ist sie aus vollem Herzen. »Es ist so schön, dass sich andere freuen, wenn sie mich sehen«, sagt sie. Im Rahmen des Erntedankfestes wurde sie von der Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck Kirsten Fehrs gekrönt. Das Schöne am Amt der Erntekönigin sei, den Menschen Freude zu bereiten. Doch Anna von Deyn weiß auch: »Es gibt ebenso Menschen, die die Aufgabe belächeln«. Ihr ist das egal. Sie macht es gern und nur das zählt für sie. »Mich interessiert es nicht, wenn andere das nicht verstehen. Ich bin ich«, sagt sie, mal mit Krone, mal ohne, aber mehr verändere sie das nicht, obwohl sie sogar Autogrammkarten besitzt. Wenn sie zum Erntedank auf dem blumengeschmückten Wagen mit vielen anderen Vereinen durch die Straßen fährt, braucht sie diese. Vor allem die Kinder bewundern sie. Wenn Sie am Sonnabend in T-Shirt und Jeans auf dem Wochenmarkt steht, weiß nicht jeder, dass er von einer »echten« Königin bedient wird. Manchmal wird sie auf der Straße erkannt, das ist für Anna eine Form von Anerkennung. Sie freue sich sehr über diese Form der Wertschätzung für ihr Engagement.
Dass sie auch mal eine Rede halten muss, war ihr nicht von Anfang an klar. »Vor meinem ersten Grußwort in der Hauptkirche St. Petri im letzten Jahr war ich sehr aufgeregt«, sagt sie. Schließlich sprach sie gleich nach Hamburgs ersten Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher. Im Nachhinein erfülle sie der Tag mit Stolz »Ich wachse an meinen Herausforderungen und stelle mich gern Aufgaben, die für mich neu sind«, sagt sie. Das sei schon als 16-jährige so gewesen, als sie für ein Jahr nach Amerika ging. »Kaum jemand hatte es mir zugetraut, da ich so schüchtern war«, sagt sie. Das merkt ihr heute keiner mehr an. Allein schon ihr Lächeln ist bestechend. »Das Ehrenamt bringt mich persönlich weiter, gerade für das Berufsleben«, sagt sie.
Normalerweise wechseln die Erntemajestäten alle zwei Jahre, bedingt durch die Corona-Pandemie wird die Amtszeit der drei amtierenden Hoheiten um ein Jahr verlängert. Gerade wurde entschieden, dass es auch in diesem Jahr aufgrund der Corona-Pandemie kein Erntedankfest geben wird. Das Erntedankfest in Kirchwerder gehört seit vielen Jahren zur Tradition der Vier- und Marschlande. Neben einem bunten Festprogramm steht vor allem der imposante Erntedankumzug mit blumengeschmückten »Festwagen« im Mittelpunkt. Der Festumzug ist mit den Jahren zum größten Erntedankumzug Nord-
deutschlands geworden.
Wenn Anna von Deyn unterwegs ist, hat sie immer ein Buch im Gepäck. »Ich bin eine Leseratte«, verrät sie. Und dafür nutzt sie jede freie Minute, die es dann doch ab und an mal gibt.