Menschen bei uns
»Wir müssen nicht immer perfekt sein.«
, von Imke Kuhlmann
Wentorf – Verena Neuse hat sich einen Traum erfüllt. »Ich habe mir mein eigenes Bullerbü erschaffen«, sagt die Führungskräftetrainerin und meint damit den idyllischen Fleck Erde in der Lohe mit ihren Tieren. Die Berlinerin studierte Wirtschaftswissenschaften, hat Managementtrainings durchgeführt und sich als tiergestützte Pädagogin ausbilden lassen.
»Mit vier Jahren wollte ich Tierstreichlerin werden« erzählt sie. Ihr Spielzeug bestand ausschließlich aus Kuscheltieren: Hunde, Robben oder auch Lämmer. Später zogen noch lebendige Meerschweinchen und Wüstenrennmäuse in ihr Kinderzimmer ein. »Wir wohnten im dritten Stock eines Einfamilienhauses, da war es mit einem Hund schwierig«, sagt sie. Der war ihr großer Traum.
Im zweiten Semester ihres Studiums der Wirtschaftswissenschaften zog dann ein vierbeiniger Mitbewohner ein. »Ein Golden Retriever mit dem Namen Paddington. Von da an war ein Hund aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken«, so die 50-jährige. Von Berlin ging es über Hamburg nach Wohltorf, 2005 machte sie sich mit ihrer Naturakademie selbstständig. Dort bietet sie Führungskräfteentwicklung an. Im Mittelpunkt steht das Lernen von, in und mit der Natur, vor allem jedoch von und mit Tieren. Und so heißt eines ihrer Seminare: Das 3 x 3 tierisch guter Führung. Die Arbeit mit Tieren unterstütze den erfolgreichen Umgang mit sich selbst und sei somit ein Baustein für die Führungskräfteentwicklung. »Warum kennen Tiere keinen Burnout? Was macht ein gutes Leittier aus? Was können wir von Eseln über den Umgang mit Herausforderungen lernen?« sind Fragen, denen sie hier nachgeht, um das Verständnis für soziale Systeme zu schaffen und den ganz persönlichen Umgang mit Stress und Herausforderungen zu erlernen.
Verena Neuse liebt ihren Beruf und sie liebt Tiere. Bedingt durch ihr berufliches Umfeld und ihr Engagement für den Tierschutz entstand der Verein Lerntiere. In der Lohe hat sie ein Grundstück mit Gebäuden gepachtet und beherbergt dort Pferde, Schweine, Hühner, Esel und Hunde. 39 Tiere leben dort. Die meisten hat sie aus schwierigen Umständen gerettet. Ein Pferd, das neun Jahre lang nur in der Box gestanden hat, ein Shetlandpony, das aus einer Kinderbetreuung abgegeben wurde, Hühner aus Scheidungsfällen oder der Esel eines älteren Herrn, der sich nicht mehr darum kümmern konnte. Sie hat Hunde aus dem Tierschutz aufgenommen und jedes einzelne Tier ist ihr ans Herz gewachsen. Zwei Stallhilfen und eine Bürokraft unterstützen sie bei der Arbeit. Mit ihrem Verein Lerntiere möchte sie Kinder stärken. Es geht um Selbstvertrauen, Respekt und Persönlichkeitsentwicklung. »Wir bestätigen die Kinder darin, sich selbst etwas zuzutrauen«, sagt sie. Sei es das schüchterne Kita-Kind oder der gemobbte Schüler, die coole Jugendliche oder deren überforderte Eltern – ihnen allen bietet Lerntiere Lebensfreude ohne Leistungsdruck und einen Zugang zu den eigenen Stärken. So, wie es sich Verena Neuse als Kind auch gewünscht hätte. Leistung war in ihrer Kindheit eine wichtige Komponente.
»Hier kann ich sein, wie ich bin«, sagt sie. Jeden Tag, an dem sie das Gelände betritt, empfände sie Glück. Es sei wie in einer anderen Welt. Hier könne sie ein anderes Denken zulassen, im Jetzt sein. »Wir gucken hier nicht darauf, was jemand nicht kann, sondern, was jemand kann«, so Neuse. Sie selber habe das in ihrer Kindheit nicht so erfahren und weiß heute, wie wichtig das ist. »Das Leben ist oft ein unnötiger Kampf«, so ihr Fazit. »Wenn wir lernen, dass wir nicht immer perfekt sein müssen, sind wir einen großen Schritt weiter. Unsere Schwächen machen uns menschlich«. Sie lebe das den Kindern gern vor.
Da gäbe es auch keinen Handyblick zwischendurch. »Wenn ich auf das Smartphone schaue, bleibt mein Pferd stehen oder der Hund läuft weg«, weiß sie. Und so vergesse sie oft die Zeit, wenn sie in der Lohe bei ihren Tieren ist. Hier spüre sie eine wunderschöne Leichtigkeit.
Inzwischen stehen zudem zwei Therapiepferde auf dem Gelände. Reittherapeutische Angebote mit Tieren unterstützen die ganzheitliche und individuelle Entwicklung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit verschiedenen körperlichen und/oder geistigen Handicaps. »Die Therapien fördern die Wahrnehmung« berichtet Neuse.
Mit allen Tieren gibt es besondere Erfahrungen. Wenn die Kinder merken, dass beispielsweise ein Huhn ein Außenseiter zwischen den anderen Hühner ist und sie mitfühlen, wie es dem Huhn geht, könne das Mobbinghintergründe haben. Anlass, um mit dem Kind zu sprechen und mögliche Sorgen abzubauen. Der Abbau von Stress, Ängsten, der Umgang mit anderen, Vertrauen wie auch die sozialen Fähigkeiten, die die Kinder mit den Tieren lernen, gehören zu den Zielen von Lerntiere. »Ich möchte, dass die Kinder diese Leichtigkeit, das Vertrauen lernen und Resonanz spüren«, so die Initiatorin. Ob Falkner, Eseltouren oder Waldbaden, jedes Erlebnis mit den Tieren sei etwas Besonderes und Nachhaltiges.
Es sei ein soziales Engagement, sagt Verena Neuse, das für sie erfüllend sei. Auch wenn die Lerntiere noch keinen Gewinn abwerfen, so sind sie ihr Lebenselixier.
Imke Kuhlmann