Menschen bei uns

»Den Menschen ohne Vorurteile empathisch begegnen, sie so sein lassen, wie sie sind«

, von Christa Möller

Susanne Ritter ist überzeugt von dem Motto des Hospizvereins: »Keiner soll allein sterben«.

Reinbek – Susanne Ritter hat ihre Berufung gefunden: Mit 52 Jahren startete sie noch mal neu durch in ein entschleunigtes Leben. Als hauptamtliche Koordinatorin im Ambulanten Hospizdienst Reinbek hat sie seither eine Aufgabe, die sie erfüllt und für die sie sich Zeit nehmen kann.

Geboren und aufgewachsen ist sie in Berlin, wo Eltern und Bruder heute noch leben. Doch sie kehrte bereits mit 16 Jahren nach der Mittleren Reife der Großstadt den Rücken und startete eine Ausbildung zur Krankenschwester im Reinbeker Krankenhaus. »Ich hatte Verwandtschaft in Reinbek und war gern mit den Menschen hier zusammen. Das war für mich der Weg, den ich gehen musste«, begründet sie den Perspektivwechsel. Der neuen Heimat ist sie treu geblieben, ebenso wie der Arbeit: Immerhin 30 Jahre lang, bis 2010, war sie als Pflegekraft im St. Adolfstift tätig, die Arbeit im Team hat ihr immer gut gefallen. Dort hat sie übrigens ihren Ehemann kennengelernt. Er absolvierte eine Ausbildung zum Krankenpfleger, heute ist er Geschäftsführer eines Krankenhauses. Das Ehepaar hat drei Kinder und mittlerweile zwei kleine Enkelkinder.

2001 hat Susanne Ritter den Ambulanten Hospizdienst Reinbek mitgegründet. »Es war mir schon immer wichtig, Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu begleiten«, sagt sie. Denn während ihrer Arbeit als Krankenschwester hatte sie gemerkt, wie bedeutsam es für Sterbende und Angehörige war, wenn ihnen jemand auch gefühlsmäßig zur Seite stand, wie verzweifelt die Menschen waren und wie schwer es ihnen fiel, mit der Situation klarzukommen. Es gebe viele Phasen, bevor ein Mensch akzeptieren könne, dass er sterben müsse. Oftmals sei es dem wenigen Personal in den Krankenhäusern geschuldet, dass die Zeit für diese Patienten fehle. »Die Arbeit beim Ambulanten Hospizdienst lässt mich immer wieder erfahren, wie segensreich diese Arbeit für die Betroffenen ist, wie sehr sie und ihre Angehörigen davon profitieren«, erläutert sie. Gefragt nach ihrer Lebensphilosophie sagt die 62jährige: »Ich versuche den Menschen ohne Vorurteile empathisch zu begegnen, sie so sein zu lassen, wie sie sind. Meine christliche Grundeinstellung hilft mir dabei.«

Der Ambulante Hospizdienst Reinbek bietet Unterstützung zu Hause oder in Pflegeeinrichtungen an. Die Sterbebegleiter besuchen seit einigen Jahren aber auch Menschen, die in der Onkologie des Krankenhauses Reinbek St.-Adolf-Stift palliativ behandelt werden. Ein bis zwei Wochenstunden sind sie für schwerkranke Erwachsene in der letzten Lebensphase da und helfen durch ihr »Da sein«, die Lebensqualität zu verbessern, aber auch für die Angehörigen haben sie ein offenes Ohr. Denn nicht jeder hat die Möglichkeit, in dieser schwierigen Situation Halt im Familien- oder Freundeskreis zu finden. Dabei kann der Kontakt zu jemandem von außerhalb, der entsprechend ausgebildet ist, einfach nur zuhört, nichts von ihnen will und keine Bedingungen stellt, möglicherweise entspannter sein als zu den direkten Angehörigen, die weit emotionaler reagieren, wie sie aus eigener Erfahrung weiß. Die Wünsche sind unterschiedlich: Die Hand halten, etwas vorlesen, im Rollstuhl in den Park. Schwieriger, aber oft auch hilfreich ist es, gemeinsam zu schweigen. Die Angehörigen haben während des Besuches mal Zeit zum Krafttanken. Besonders rührt sie die Dankbarkeit und die Offenheit der Betroffenen. Als 2010 ihr Vorgänger den Einsatzort wechselte, bewarb sie sich um die 20-Stunden-Stelle als Koordinatorin. Der Wechsel vom hektischen Krankenhausalltag zum Hospizdienst war für sie eine 180-Grad-Drehung und genau das Richtige: Während es auf der Intensivstation im Krankenhaus ständig unter Zeitdruck darum ging, Menschen zu retten, hat sie beim Hospizdienst Zeit beispielsweise für das Koordinieren der Begleitung auf dem letzten Weg oder für Gespräche mit den Ehrenamtlern. Erst seit den 1980er Jahren gibt es ambulante Hospizdienste in Deutschland und noch immer kennen viele Menschen in der Region das Angebot des Vereins gar nicht, der nicht nur in Reinbek, Wentorf, Wohltorf, Aumühle und Glinde aktiv ist, sondern auch in Oststeinbek, Barsbüttel und Witzhave. »Aber wenn sie uns kennenlernen, merken sie, wie gut es ihnen tut«, hat die Koordinatorin erfahren, die eine Ausbildung zur Palliativpflegefachkraft hat und den ersten Patientenbesuch übernimmt. Anschließend sucht sie den passenden Ehrenamtler aus dem Kreis der zurzeit 32 Sterbebegleiter aus, deren Einsatz sie sehr begeistert, und begleitet ihn während dieser Zeit. Außerdem leitet sie Fortbildungen für ihre Ehrenamtlichen, vermittelt Supervision und ist für die allgemeine Büroarbeit des Hospizvereins zuständig. Bei ihrer Arbeit kommt ihr die Erfahrung im Krankenhaus sehr zugute. Wenn sie anderen erzählt, was sie beruflich macht, dann hört sie schon mal Kommentare wie »toll, aber ich könnte das nicht«. Was sie besonders auszeichnet? »Ich verfüge über große Empathie, kann gut zuhören und gebe den Menschen das Gefühl, ich bin in dem Moment ganz für sie da, ich konzentriere mich auf sie und bin nicht abgelenkt.« Sie schätzt auch sehr den Austausch mit dem Bergedorfer Hospizdienst.

Trauerbegleitung gehört ebenfalls zu den Aufgaben des Ambulanten Hospizdienstes, »egal, ob wir den Verstorbenen begleitet haben, oder nicht.« Leider steht das Trauercafé zurzeit Corona-bedingt nicht als Treffpunkt zur Verfügung, aber Trauergespräche werden trotzdem angeboten, ebenso wie Spaziergänge. Aufgrund der Corona-Pandemie ist der Zugang zu den Seniorenheimen in Stormarn schwierig. »Wir kommen nicht zu einer neuen Begleitung in die Heime«, sagt Susanne Ritter. Der Kontakt bei bestehenden Begleitungen erfolge derzeit per Telefon und Post. »Wir bedauern das sehr, weil es genau gegen unsere Einstellung läuft, keiner soll allein sterben. Die Zahl der Nachfragen habe sich durch die Pandemie nicht erhöht.

Ihre Freizeit füllt häufig die Familie aus: die Tochter lebt mit Mann und Kindern im selben Haus, die Söhne wohnen in Hamburg. Auf Reisen zu den geliebten Kanarischen Inseln muss das Ehepaar aufgrund von Corona noch verzichten, alternativ ging es im Herbst mit einem gemieteten Wohnmobil nach Mecklenburg-Vorpommern – auch eine tolle Erfahrung. »Es ist sehr schön, sehr natur belassen, wenig Menschen«, haben die Ritters festgestellt, die gern spazieren gehen. Ansonsten greift Susanne Ritter gern zum Buch, Ostfriesenkrimis, historische Geschichten und Romane von Charlotte Link stehen ganz oben auf ihrer privaten Beststellerliste.

Mehr Hospiz-Infos gibt es unter www.hospizdienst-reinbek.de, wo auch ein neuer Image-Film über den Verein zu finden ist. Im nächsten Jahr startet ein neuer Kursus für angehende Sterbebegleiter. Aufgrund der Pandemie ist er jedoch begrenzt auf acht Teilnehmer und schon ausgebucht.

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