Jüdische Mitbürger in Aumühle
Der Kulturwissenschaftler Nikolaj Müller-Wusterwitz erinnert an Anita Zöllner
, von Stephanie Rutke
Aumühle – In Zusammenhang mit den Erinnerungen an das Kriegsende vor 75 Jahren hat sich der Aumühler Kulturwissenschaftler Nikolaj Müller-Wusterwitz auf Spurensuche begeben und unter anderem zum Schicksal von Anita Zoellner geforscht. Sie war eine Jüdin, die in der Sachsenwaldgemeinde lebte und sich am 14. Februar 1945 aus Angst vor der drohenden Deportation das Leben nahm.
Nikolaj Müller-Wusterwitz ist an Aumühles Geschichte interessiert und beschäftigt sich auch mit dem Thema »Jüdische Mitbürger in Aumühle«. So ist er auf die Geschichte der Familie Zoellner aufmerksam geworden. Er gehört zu den Organisatoren der Reihe »75 Jahre Kriegsende – Frieden«, die von Februar bis Oktober mit diversen Veranstaltungen an das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnert. »Ich wusste vom Fall Zoellner und habe lange dazu recherchiert«, berichtet Müller-Wusterwitz. Seine Quellen sind dabei Archive, Sterbebücher, das Grabregister der Kirchengemeinde, das Internet und Gespräche mit Aumühlern. »Das Thema ist bekannt bei den älteren Aumühlern«, weiß er. Und doch sei es nicht immer einfach, Auskünfte zu erhalten.
Für seine Recherchen hat der Kulturwissenschaftler keinen Auftrag der Gemeinde, freut sich aber über die Unterstützung sowohl durch die politische als auch durch die Kirchengemeinde. So konnte er viele Daten zusammentragen zum Schicksal einer Aumühlerin, die kurz vor Kriegsende den Freitod wählte.
»Es ist eine tragische Geschichte und manchmal ist die Recherche frustrierend«, zieht er Bilanz. Da die Ereignisse schon so lange zurückliegen, werde – ohne Absicht – manches falsch erzählt oder verändert. Oder es werde aus Scham geschwiegen. »Ich muss die einzelnen Teile wie bei einem Puzzle zusammensetzen, recherchieren und kombinieren.« Manche Lücken werden sich nicht füllen.
Geboren wurde Anita Zoellner am 15. Februar 1888 als Anita Julia Belmonte in Amsterdam. Um 1910 heiratete sie Richard Zoellner (1875 – 1946) mit dem sie 1913 in Aumühle die Villa in der Pfingstholzallee 1 bezog.
Aus dem Aumühler Gemeindearchiv hat Nikolaj Müller-Wusterwitz die Kopie eines Schreibens vom 5. Januar 1939 erhalten, in dem der damalige Amtsvorsteher mitteilte, dass Anita Zoellner Jüdin sei. Am 7. Februar 1945 wurde sie von der Gestapo aufgefordert, sich eine Woche später am 14. Februar für den Transport zum Deportationssammelpunkt in Hamburg am Aumühler Bahnhof einzufinden.
»Ich habe aus Gesprächen mit älteren Aumühlern erfahren, dass sich die Familie Zoellner am 13. Februar zuhause versammelt hat und Anita Zöllner Mann und Kindern mitgeteilt hat, dass sie sich das Leben nehmen werde«, so der Kulturwissenschaftler. Diese Information hätten ihm auch ältere Wohltorfer bestätigt.
Aus dem Sterbebuch geht hervor, dass Anita Zoellner am 14. Februar 1945 durch eine Gasvergiftung gestorben ist. Da sie Volljüdin war, durfte ihre Leiche nicht durch den Ort auf den Aumühler Waldfriedhof gebracht werden. Der Leichenwagen musste einen Umweg durch den Wald fahren.
Der damalige Pastor Karl Giesecke habe eine Trauerfeier in der Kirche abgelehnt. Die Grabrede hielt deshalb Anita Zoellners Sohn Kurt Zoellner. Er selbst lebte bis zu seinem Tod 2002 in Aumühle, wo er sich als Gemeindevertreter und von 1955 bis 1970 als Bürgervorsteher engagierte.
Die Recherche von Nikolaj Müller-Wusterwitz zum Fall Zoellner hat ihn bis nach Japan geführt. Dort lebt die Tochter einer Freundin von Anita Zoellners Tochter Annemarie. »Von ihr habe ich ein Bild zugeschickt bekommen, dass ein Porträt Anita Zoellners zeigt«, erklärt er. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass in älteren Fotoalben von Aumühler Familien noch Fotos zu finden sind, auf denen auch Anita Zoellner abgebildet ist.
Im Laufe der Jahre erhält Müller-Wusterwitz immer neue Informationen. So fügt sich ein Puzzleteil ans nächste.