Menschen bei uns
»Ich greife gern Neues auf und gucke, wo es mich hinträgt.«
, von Christa Möller
Wentorf – Dieser Künstlername ist gar keiner: Wittich Wolf heißt wirklich so. »Der Vorname kommt aus den deutschen Heldensagen«, erläutert der Wentorfer. Seine historisch interessierten Eltern wollten ihren Kindern Namen geben, die nicht jeder hat. Sohn Wittich Wolf hat seit vielen Jahren auch einen Beruf, der etwas außergewöhnlich ist: Er verdient sein Geld als Zauberer und Bewegungskünstler. Dabei hatte der gebürtige Kieler, der seine Kindheit und Jugend in Osterode im Harz verbrachte, nach dem Abitur zunächst einen ganz anderen Berufsweg eingeschlagen. Schon in der Schule hatte er festgestellt, dass er anderen komplexe Sachverhalte gut und häufig verständlicher erklären kann als die Lehrer. »Mathe ist nur eine Form der Beschreibung unserer Umwelt«, erläutert der 45-Jährige, der seit zehn Jahren mit seiner Familie in Wentorf wohnt. »Ich habe Freude daran, den Erfolg anderer mitzuerleben.«
Folglich wollte er Lehrer werden, er studierte in Lüneburg Musik, evangelische Religion und Deutsch. Doch während des Studiums stellte er fest, »dass mich die Tätigkeit sehr interessiert, aber nicht, wie sie umgesetzt wird.« Die Bewertung von Schülern müsste mehr an der persönlichen Entwicklung gemessen werden«, ist er überzeugt. Es gebe Kinder, die vielleicht nur ein Mittelmaß erreichten, aber soviel mehr Entwicklung gemacht hätten als andere, die Top-Leistung brächten. »Es ist nicht wichtig, was es für eine Schule ist, sondern wer unterrichtet«, sagt Wittich Wolf. Einige Kinder seien in Mathe schlecht, hätten jedoch eine tolle soziale Kompetenz. »Dafür müsste es auch eine Bewertung geben«, meint der Wentorfer, der außerdem findet, Schule bereite zu wenig aufs Leben vor. Dabei hat er ganz praktische Dinge wie Steuererklärung oder Haushaltsbuch im Blick. Und »wenn Kinder lernen, gesund zu kochen und gesund zu essen, zu haushalten, dann verspreche ich mir davon weniger Menschen mit Schulden, weniger Gesundheitsprobleme.«
Nach einer tiefen Sinnkrise, während derer er sich therapeutische Hilfe holte, und nach drei Urlaubssemestern brach er das Studium schließlich ab. Mit den verschiedensten Jobs hielt er sich finanziell über Wasser. Er räumte Regale ein, half bei Umzügen, gab Gitarrenkurse und Mathe-Nachhilfe. Er gründete in Lüneburg mit zwei Freunden die Band »Neue Wege« und außerdem eine Männergesprächsgruppe, leitete mehrere Chöre und kam in Kontakt mit einem Sportverein, der ihn für seinen Einradkursus als Leiter einstellen wollte. »Zwar konnte ich gar nicht Einrad fahren, aber das lernte ich dann.« So sei er immer durchs Leben gegangen. »Ich greife gern Neues auf und gucke, wo es mich hinträgt«, erklärt er mit Blick etwa aufs Bauchreden, das er in Ferienkursen auch Schulkindern beibringt. Seit zwei Jahren nimmt er Gesangsunterricht, denn er will sein Publikum zukünftig nicht nur mit Zauberei und Jonglage, sondern auch mit Gesangseinlagen unterhalten. »Die Lieder von Michael Bublé und Elton John passen perfekt zu meiner Stimmlage«, erklärt der Bariton.
Beim Geburtstag einer Freundin trat er mangels Geld für ein Geschenk als Zauberer und Jongleur auf – zur Begeisterung der Zuschauer. »Das war ein Schlüsselerlebnis«, sagt der Künstler, der mit diesem Erfolg gar nicht gerechnet hatte. Seit 19 Jahren ist er selbstständig, gründete zunächst eine Ich-AG, bekam Fördergeld vom Arbeitsamt. Ein paar Spielkarten, ein Seil, ein paar Seidentücher, mehr brauchte er erstmal nicht. Er schloss sich einem Zauberkreis an, dem er viele Tipps verdankt, und übte mit Eifer, was er noch nicht beherrschte. Mit fünf Bällen jonglierend Einrad fahren, dafür brauchte er fünf Jahre. »Ich habe ein unheimliches Durchhaltevermögen.«
Seine Vorbilder? Eine Freundin, die in Krisensituationen einen klaren Kopf behält, ein Freund, der nie seinen Humor verliert. Und Künstler wie der Amerikaner Michael Ammar (»ein toller Geschichtenerzähler«) und Alexander de Cova, dessen Tricktechnik er bewundert. Die Zahl seiner Auftritte habe sich seit 2018 verdoppelt, verrät er stolz.
»Motivation ist ganz häufig wichtiger als alle anderen Grundvoraussetzungen«, hat er auch bei seinen Kursen festgestellt, wo er schon erlebt hat, dass die Untalentierten die Talentierten überholen. »Es ist toll, aber das sind Einzelfälle«, weiß der Pädagoge, der wöchentlich zehn Kurse im Rahmen des Ganztages gibt und zusätzlich Auftritte als Zauberer und Bewegungskünstler hat.
Sportlich ist auch Ehefrau Ann Kathrin, die gern Leichtathletik betreibt. Für die beiden achtjährigen Zwillingstöchter, die selbstverständlich auch Einradfahren können, ist der etwas andere Beruf des Vaters übrigens »ganz normal«. Die älteren Geschwister sind 15 und 17 Jahre alt.
Dem Wentorfer ist eine positive Einstellung wichtig. »Geht nicht, das hinterfrage ich.« Jeder habe seine Einstellung, aber das Miteinander zähle. Bei seinen Auftritten ist das ebenso, Ehefrau Ann Kathrin unterstützt ihn des Öfteren, er kann ihr bei ihrer Arbeit als Heilpraktikerin gelegentlich Tipps geben. Für Mr. Sunday hat sie ein Kinderjackett passend geändert. Er hilft Wittich Wolf bei seinen Auftritten als Bauchredner.
Die Ferien verbringt Familie Wolf gern beim Skifahren in Österreich und im Sommer auf Sylt – in der Jugendherberge.