re-view

Ohne Worte

, von Hartmuth Sandtner

Die schottische Schriftstellerin A. L. Kennedy setzt sich in ihrer Rede zur Eröffnung der BUCH WIEN (Süddeutsche Zeitung, 8.11.23) kritisch mit der Kultursituation in Großbritannien auseinander und warnt die Zuhörer davor, zu »vergessen, dass Worte Macht und Bedeutung haben« und es gefährlich ist, »diese Macht und Bedeutung den Schlimmsten unter uns [zu] überlassen.« Der Gesprächsspaziergang von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck mit dem Pianisten Igor Levit (www.youtube.com/watch?v=t-NB_vMmG1E) hat den »Angriff der Hamas auf Israel« – wie Habeck die Situation zum Einstieg formuliert – zum Thema. Und es geht auch um Worte. Und ihre Wirkung auf die Gesellschaft, wenn sie ausbleiben und von manchen schmerzlich vermisst werden.

Igor Levit will sofort die Worte präzisieren: »Ein Angriff auf israelischem Territorium war ein Angriff auf Juden. Kein Angriff auf eine Armee, keine Demonstration, keine Steine auf Botschaften – nein, ein Angriff auf Juden. Der schlimmste Angriff, die schlimmste Attacke, das schlimmste Pogrom seit der Shoah. Verglichen dazu, was in Deutschland, zahlentechnisch, mengentechnisch, lautstärketechnisch gerade an Judenhass ausbricht auf den Straßen von allen Seiten: Der immer schon offen dagewesene Antisemitismus von Rechtsextremen, der für alle sichtbare Judenhass von Seiten des radikalen politischen Islamismus, der Judenhass in einigen Teilen der linken Szene – aber ich will nicht sagen das Schweigen, aber die große Teilnahmslosigkeit von so großen Teilen der Mitte der Gesellschaft, empfinde ich als bestürzend. Wie schnell waren sie immer da, wenn es um Krisen ging, Solidarität mit so so so vielen und jetzt? Was ist jetzt? Jetzt sagt man mir: «es ist kompliziert«. Jetzt sagt man mir: «Na ja du – die Israel-Problematik ist so vielschichtig.« – Ich bin kein Israeli. Ich bin Jude in Deutschland, mit allem, was dazugehört. Auch mit den Schwierigkeiten, die dazu gehören,  emotional. Und ich erlebe Teilnahmslosigkeit. Das ist der eigentlich schlimme Bruch. Ich spreche viel auch mit muslimischen Freundinnen und Freunden, fast täglich. Solange wir uns auf der Grundlage bewegen – dem Fundament, auf dem wir stehen, ein klares ist, nämlich Akzeptanz von Fakten, was passiert ist am 7. Oktober bei einem Massaker an Juden, für sich genommen mit Nichts und Garnichts zu rechtfertigen. Und auf dieser Basis sprechen wir sehr, sehr offen darüber, wie wird dieser Krieg geführt, wo findet das Leiden statt, auch in Gaza! Was passiert mit mir? Mir schmerzt, mir blutet das Herz, wenn ich daran denke. Und so viele Menschen, und so viele Menschen, werden in Mitleidenschaft gezogen, sterben, verlieren alles — die keinerlei Schuld daran tragen, was A am 7. Oktober passiert ist und was seit Jahrzehnten und Jahrzehnten in diesem ewigen schlimmen Konflikt geschieht.«

Habeck will wissen: »Wie bedrohlich findest du diese Situation für dich persönlich, für jüdisches Leben in Deutschland? Oder auch für unsere Gesellschaft insgesamt?« –

Levit: »Das jüdische Leben in Deutschland und weltweit ist in Gefahr. Mir ist, im Grunde genommen, ein sehr substantieller Teil meines Sicherheitsgefühls verloren gegangen. Ich wollte mich nie in eine Schublade stecken lassen, auch von mir selbst nicht, aber kein Ereignis in der Welt hat mich so zum Juden gemacht wie dieses. Rechtsextremismus, NSU, Angriffe auf jüdische Friedhöfe, hat es schon oft gegeben, vor Jahren. Molotowcocktails auf Geflüchtetenheime – gehen wir mal weg vom Jüdischen – hat es auch schon seit Jahren gegeben. Mein Leben als Jude ist in 2023 nach 28 Jahren in Deutschland schlechter geworden. Und sehr, sehr viele Menschen, die einer Minderheit angehören, werden das genau so bestätigen. Und wenn jetzt noch dazukommt, dass ich als Jude bei so vielen Menschen so eine Kälte erlebe, so eine Indifferenz – Ja, aber – dann ist das der eine Tropfen zu viel. Es ist gesellschaftliche, es ist politische Aufgabe, dass man sich so nicht fühlen muss.«

Warum fehlen unserer Gesellschaft die Worte, auf die Igor Levit wartet?

»Im Kontext von Verschwörungserzählern und politischen Fantasten«, ruft A. L. Kennedy ihren Wiener Zuhörern zu, »werden Worte zu Agenten des Chaos. Unter solchen Bedingungen verkümmern unsere Emotionen, unser Einfühlungsvermögen schrumpft […] hin zur Grausamkeit, hin zu einer Zuschauerrolle, wenn andere Menschen verletzt werden. Umso mehr, wenn diese anderen wiederholt dämonisiert werden, wenn wir sie nicht gut oder gar nicht kennen.«

Robert fragt Igor: Immer habe ich das so verstanden, dein Leben und deine Kunst –  dass du das, was dich beschäftigt hat, auch übersetzt hast in Musik.  – Wenn Musik deine Sprache ist  – sprichst du noch?  – Ändert sich Dein Ausdruck? Wird er zorniger, wütender, enttäuschter, einsamer, trostloser?« Igor: »Die Erfahrung, die ich gerade mache auf der Bühne, ist: Ich spiele ein Beethovenkonzert, aber ich denke nicht eine Sekunde an dieses Beethovenkonzert, sondern ich denke an alles, was in meinem Leben gerade zerbrochen ist«. –

Er setzt sich an den Flügel und spielt Mendelssohn Bartholdi: »Lieder ohne Worte«.

Mehr zum Thema