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»Wir führen Krieg gegen unsere Kinder. Und wir gewinnen ihn.«
, von Hartmuth Sandtner
Anfang 2023 befragte die Robert Bosch Stiftung Schulleitungen im ganzen Land und veröffentlichte die Ergebnisse im Schulbarometer. 35 Prozent der SchülerInnen zeigen deutliche Lernrückstände, an Schulen mit vielen Kindern aus ärmeren Familien sind es sogar 65 Prozent. Vier von fünf Schulleitungen geben an, keine adäquate Unterstützung für Kinder mit Lernrückständen bieten zu können. Lehrkräfte fühlen sich überfordert und alleingelassen – mit lauten Klassen, mit schwierigen SchülerInnen. In diese Gemengelage stößt ein Vier-Punkte-Plan »Mehr Psychologie an Schulen« der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), den Markus Bühner, Professor für psychologische Methodenlehre an der LMU München in der ZEIT v. 13.4.23 näher erläutert. »Auf vier Wegen kann die Psychologie hier ihre Expertise einbringen: Erstens können SchulpsychologInnen Schüler, Eltern, Lehrer und Schulleitungen beraten, Fortbildungen anbieten und Präventionsarbeit leisten. Zweitens müssen Lehrkräfte stärker psychologisch geschult werden, drittens sollten interdisziplinäre Teams gebildet werden. Viertens sollte Psychologie als Schulfach angeboten werden.« Bühner fordert eine Straffung des Lehrplans und die Ausgliederung psychologischer Inhalte aus den Fächern Ethik, Religion und Biologie in ein Fach namens Psychologie. »Wer im digitalen Zeitalter an Autonomie und kritischem Denken als wichtigen Zielen von Bildung festhalten möchte«, so auch der Philosoph Johannes Müller-Salo in seinem Buch »Offene Rechnungen – der kalte Konflikt der Generationen«, muss entsprechend Bildungsinhalte grundlegend umgestalten. »So verlangt etwa Medienkompetenz im digitalen Raum nach anderen Fähigkeiten als in der analogen Welt. Die Flut verfügbarer Informationen will gesichtet, das Unterscheiden seriöser von nichtseriösen Quellen gelernt und die Bewältigung der Geschwindigkeit, in der heutzutage Diskussionen stattfinden, eingeübt werden.«
»Es passt nicht in unsere Zeit, so auch Bühner, »dass Detailwissen im Lehrplan als so viel wichtiger wahrgenommen wird, als ein Grundverständnis unserer Psyche zu vermitteln: Wie entstehen Emotionen und wie kann man sie günstig beeinflussen, wie können Schülerinnen und Schüler die eigene Motivation fördern und besser lernen? Oder wie lassen sich psychologische Phänomene erklären, wie zum Beispiel das Entstehen von Verschwörungsmythen?« Aktuell wird aber nur in neun von 16 Bundesländern Psychologie als Wahlfach angeboten. In Schweden, Großbritannien, Tschechien und Österreich ist dagegen Psychologie ein wichtiger Bestandteil des Unterrichts, worauf Birgit Spinath, bis 2020 Präsidentin der DGPs in einem Interview mit dem Deutschlandfunk hinweist. Markus Bühner: »Die Schule braucht jetzt die Hilfe der Psychologie. Die Politik muss umgehend dafür sorgen, dass an den Schulen bundesweit Psychologieunterricht angeboten wird und dass mehr Schulpsychologen eingestellt werden.«
Schon am 28.11.22 forderte der Deutsche Ethikrat an erster Stelle »niedrigschwellige und flächendeckende schulpsychologische Angebote sowie psychosoziale Unterstützungsangebote« und »Informationskampag-nen zur psychischen Gesundheit«. »Die tiefgreifenden Pandemiemaßnahmen«, so die Sektion Schulpsychologie im BDP am 8.3.23, »haben vielfach zu psychischen Belastungen und Störungen geführt und bei Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften tiefe Spuren hinterlassen.«
Dabei ist das nur der Anfang dessen, was an »tiefen Spuren« auf uns zukommt. Nikolas Freund zitiert unter der Überschrift »Das unfaire Erbe« in der Süddeutschen v. 15.4.23 Jörg Tremmel, Soziologe und Experte für Generationengerechtigkeit an der Universität Tübingen, mit einer Studie aus dem naturwissenschaftlichen Fachmagazin Science: »Ein Kind, das im Jahr 2021 geboren wird, wird im Laufe seines Lebens durchschnittlich doppelt so viele Waldbrände, zwei- bis dreimal so viele Dürren, fast dreimal so viele Flussüberschwemmungen und Ernteausfälle sowie siebenmal mehr Hitzewellen erleben als eine Person, die heute zum Beispiel 60 Jahre alt ist«. Die daraus entstehenden psychischen Belastungen kann man heute schon ahnen.
Johannes Müller-Salo stellt fest: Während die Jüngeren ihr Vertrauen in die Zukunft mehr und mehr verlieren, lassen klimapolitische Durchbrüche weiter auf sich warten. Und er zitiert zum Zustand der Generationenverhältnisse den US-Politökonomen und Babyboomer Laurence J. Kotlikoff aus dem Jahre 2014: »Wir führen Krieg gegen unsere Kinder. Und wir gewinnen ihn.« »Die Jüngeren können«, so Müller-Salo, »nur eine Schlussfolgerung ziehen: Es grenzt an Realitätsverweigerung, ernsthaft zu glauben, dass die Älteren und die von ihnen betriebene oder unterstützte Politik von sich aus den Konflikt zwischen den Generationen angehen werden. Den Jüngeren bleibt also keine Wahl, als die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie müssen den Streit suchen, ob am Küchentisch oder im Parlament.« Damit das fair gelingt, sind Schule und Psychologie gefragt. Müller-Salo hängt die Latte hoch: »Ihre einzige Chance [...] ist eine politische Chance. Sollten sie diesen Weg nicht einschlagen, hätten sie ihre Niederlage auch selbst mitzuverantworten.«