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Sie wissen das alles.
, von Hartmuth Sandtner
Die Fakten sind seit Jahren in der Presse und in Büchern präsent, sie klingen unglaublich und sehen auf Bildern auch so aus. Klimawissenschaftler Bill McGuire wird im ZEIT-Beitrag »Was hilft gegen Klimaangst?« von Fritz Habekuß/Maximilian Probst vom 13.1.2023 ganz konkret: »Wenn wir wollen, dass sich ganze Bevölkerungsgruppen erheben und ernsthafte Maßnahmen fordern – was wir brauchen, und zwar bald –, dann müssen wir alle Angst haben, wirklich Angst und nicht nur leichte Besorgnis.« Im Beitrag von Elia Blülle über »einen Journalismus, der in der Klimakrise einen Unterschied macht« am 10.1.2023 im Internet-Magazin republik.ch, lesen wir: In Indien fielen im Jahr 2022 wegen der enormen Sommer-hitze, Vögel tot vom Himmel. In der Schweiz wurden manche Flüsse und Bäche so warm, dass einige Kantone ganze Gewässer notfall-mäßig abfischten, um die Tiere zu retten. Und wegen Schneemangels mussten zahlreiche Ski-gebiete bereits ihre Pisten schließen. Abgesehen davon, dass das vieler-orts das Ende für den Winter-tourismus bedeutet, sind damit extreme Dürren im kommenden Sommer wahrscheinlich. Andererseits verwandelten Fluten in Pakistan ganze Dörfer in Seen und Flüsse. Ein Drittel des Landes stand unter Wasser. 33 Millionen Menschen mussten ihr Zuhause verlassen. Elia Blülle: »Das ist nicht einfach die neue Normalität, sondern erst die Start-rampe.« Dazu gehört, dass etwa die Hälfte der Tiere, die einst ihren Lebensraum mit den Menschen teilten, bereits verschwunden sind. Über 42.000 Arten sind vom Aussterben bedroht – ein Viertel aller registrierten Tierarten.
Unter der Überschrift »Die Zukunft der Menschheit« berichten Christof Gertsch und Mikael Krogerus in einem dreiseitigen Beitrag in der Süddeutschen vom 7.1.23 über den Thwaites Gletscher in der Westantarktis und eine damit zusammenhängende »furchteinflößende Prophezeiung« aus dem Jahre 1968, wo John Mercer, ein Geograf aus England, schon damals vermutete: »Die Westantarktis könnte schon sehr bald schmelzen und einen Anstieg des weltweiten Meeresspiegels von bis zu sechs Metern verursachen.« Niemand glaubte ihm, auch nicht, als er 1978 den menschengemachten Treibhauseffekt dafür verantwortlich machte. Gertsch und Krogerus: »Heute wissen wir, dass in der Antarktis tatsächlich ein einziger Gletscher [allerdings von der Größe Großbritanniens] den Anstieg des Meeresspiegels in den nächsten Jahrzehnten bestimmen wird. Er wird die Art verändern, wie – und vor allem wo – wir in Zukunft leben.« Seit dem Jahr 2014 weiß man, dass der Thwaites-Gletscher tatsächlich am Kollabieren ist. Stoppen kann man den Vorgang nicht. »Seither lautet die Frage nicht mehr, ob die Westantarktis schmilzt. Sondern »How much, how fast?« – Alle Wissenschaftler, mit denen wir über den Thwaites-Gletscher sprechen, sagen irgendwann diesen Satz. Es ist auch die Leitfrage der größten und teuersten Forschungsexpedition, die je in die Antarktis unternommen wurde. Zweihundert Mitarbeitende, sechzig Millionen Dollar, neun verschiedene Projekte: Das ist die ITGC, die International Thwaites Glacier Collaboration.«
Auf die Frage der beiden Autoren, warum das Wasser vor dem Gletscher wärmer wird, gibt die Ozeanografin und Antarktis-Veteranin Julia Wellner von der University of Houston eine sehr differenzierte Antwort: Das ist »auf regionale Erwärmungen im Meerwasser zurückzuführen. Die auf größere Veränderungen im Wind- und Sturmmuster in der südlichen Hemisphäre zurückzuführen sind. Die wiederum von der menschengemachten Klimaveränderung ausgelöst wurden.« Alles hängt eben mit Allem zusammen.
Macht der Thwaites den Weg frei für das Eis der Westantarktis, bedeutet das einen Meeresspiegelanstieg von über 3 Metern. »Die mittelfristigen Konsequenzen«, so Gertsch und Krogerus, sind »Sturmfluten, Überschwem-
mungen – und Völkerwanderungen.« Und sie berichten vom Glaziologiekongress in Davos. Dort »hören wir Helene Hewitt, eine der Hauptautorinnen des jüngsten Klimaberichts, sagen, dass der Meeresspiegel bis 2300 im schlimmsten Fall bis zu 16 Meter ansteigen könnte.«
»Wir bewegen uns auf eine menschen-feindliche Wirklichkeit zu«, so Elia Blülle in der republik.ch, »die nicht ideologisch oder abergläubisch konstruiert, sondern rechnerisch vorhersehbar ist. Das gab es in der Geschichte noch nie.« Und er erinnert an die Philosophin Hannah Arendt. Sie »sah in der Handlung die einzigartige Eigenschaft menschlichen Daseins.«
»Unser Planet nähert sich Kipp-punkten, die das Klima-chaos unumkehrbar machen werden. Was ist zu tun?«, fragt Elia Blülle. »Wir befinden uns im Kampf unseres Lebens, und wir verlieren«, sagte Uno-Chef António Guterres auf der vergangenen Weltklimakonferenz in Ägypten. Fossile Brennstoffe als Hauptursache für die Krise müssen im Boden bleiben. RWE-Chef Markus Krebber – wie in der Süddeutschen vom 14.1.23 zu lesen war, »ein enger Berater der Bundesregierung« und in »stetem Austausch mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck« – verkennt die Symbolkraft von Lützerath und verrät damit Guterres‘ »Kampf unseres Lebens«.
Wir brauchen einen Blick auf die »neue Realität«, sagt Transformationsforscherin und Mitbegründerin Scientists4Future Maja Göpel in ihrem Buch Unsere Welt neu denken. Und sie zeigt: »Weiterzumachen wie bisher, ist keine Option.« Wir müssen raus aus der »Box, in der wir uns befinden, wenn wir im Alltag denken und handeln.«